„Negative Gedanken durch positive ersetzen“. Über die Rolle der Psychologie in der Schmerztherapie
Interview mit Wolfgang Dumat, Psychologe & Psychotherapeut sowie Experte für chronische Schmerzen
Herr Dumat, in der Behandlung von chronischen Schmerzen spricht man oft von der „multimodalen“ Schmerztherapie. Warum ist die Vielfalt an Therapien so wichtig?
Wenn ein Schmerz chronisch wird, werden nach und nach alle Lebensbereiche davon beeinträchtigt: Betroffene Personen haben beispielsweise zunehmend ein Problem, ihrer Arbeit nachzugehen, sie vernachlässigen ihre Hobbies und machen immer weniger mit ihren Freunden ab. Zudem wird ihre psychische Verfassung beeinträchtigt. Diese zunehmende Abschottung und Inaktivität verschlimmern wiederum den Schmerz. Es gibt Menschen, die dann gar nicht mehr aus der Wohnung gehen, depressiv werden oder sogar an Suizid denken. Das ist ein richtiger Teufelskreis, aus dem die meisten alleine nicht mehr herauskommen. Andere wiederum können ihren Alltag noch ganz gut bewältigen, aber ihre Stimmung ist zunehmend gedrückt. Weil der chronische Schmerz also alle Lebensbereiche beeinträchtigt, muss er auch ganz vielseitig behandelt werden. Das heisst, sowohl über Medikamente als auch über Physiotherapie und Psychotherapie, aber auch beispielsweise über eine Sozial- und Berufsberatung.
Können Patienten durch eine so vielfältige Schmerztherapie weg von Medikamenten kommen?
Ja, das klappt in einigen Fällen. In die Schmerzklinik Nottwil kommen aber meist Patienten, die schon lange Jahre mit chronischen Schmerzen leben und bereits viele Untersuchungen, Klinikaufenthalte und Behandlungen hinter sich haben. Wenn wir bei diesen Menschen die Medikamente zumindest reduzieren können, ist das schon ein grosser Erfolg. Die Betroffenen möchten dies auch selbst, da sie die meist negativen Nebenwirkungen der Medikamente täglich erfahren.
Sie behandeln Schmerzen von der Seite der Psychologie. Welche Rolle spielt diese überhaupt bei Schmerzpatienten?
Zum einen haben wir Psychologen viel mehr Zeit für Gespräche, die den Ärzten oftmals fehlt. Zu einem grossen Teil versuchen wir eine Vertrauensbasis herzustellen und die Betroffenen zu motivieren, etwas zu tun. Das können zum Beispiel bestimmte Behandlungen sein, aber auch Änderungen ihres Alltags, wie Abläufe, Bewegungen oder Verhaltensmuster.
Ein anderer Bereich, den wir Psychologen abdecken, ist die Aufklärung und Information der Patienten. Wir versuchen ihnen zu erklären, was chronische Schmerzen überhaupt sind und weshalb sie anders behandelt werden müssen als akute Schmerzen. Die Patienten möchten meist wissen, warum sie solche Schmerzen haben. Dies können wir in den meisten Fällen jedoch nicht klären. Das führt dann teils zu grossen Enttäuschungen, oder auch zu Kränkungen. Oft höre ich den Satz: „Alle denken, ich simuliere. Es nimmt mich keiner ernst.“ Hier braucht es viel Aufklärungsarbeit und Gespräche, die den Betroffenen helfen, mit ihren Schmerzen umzugehen.
Seit einiger Zeit werden innerhalb der „Schmerzwochen“ an der Schmerzklinik auch Übungen der „Positiven Psychologie“ angewendet. Was kann dieser Ansatz bewirken?
Die Übungen der Positiven Psychologie dienen dazu, negative Gedanken durch positive zu ersetzen. Wir möchten auf diese Weise eine verbesserte Stimmung erreichen. Bei den Übungen sagen wir den Patienten, was sie konkret machen sollen, zum Beispiel dass sie mal wieder mit einem Freund oder Bekannten abmachen sollen. Diese Aktivierung führt bei Schmerzpatienten oft zu einem guten Gefühl. Wenn sie dann tatsächlich ein nettes Treffen hatten, führt dies wiederum zu einer positiven Erfahrung. Wir trainieren sozusagen, wie die Betroffenen überhaupt wieder zu positiven Gedanken kommen. Langfristig planen wir in der Schmerzklinik, die Übungen auch in die Rehabilitation Querschnittgelähmter zu integrieren. Wir möchten damit vorbeugend unterstützen, dass Schmerzen gar nicht erst chronisch werden.
Gibt es auch Personen, bei denen die Übungen der Positiven Psychologie nicht angewendet werden sollten?
Bei Menschen mit starken Depressionen oder auch Psychosen müssen wir vorsichtig sein, denn hier können diese Übungen Gegenteiliges bewirken. Pessimistisches Denken kann noch verstärkt werden. Betroffene sagen dann: „Ich soll aufschreiben, was ich in meinem Leben noch Schönes machen möchte. Ich habe aber gar nichts, denn mit meinem Schmerz werde ich all die schönen Dinge nie mehr machen können.“ In solchen Fällen werden wir die Übungen nicht anwenden.
Zum Schluss: Haben Sie einen Tipp, wie man mit Schmerzen von Anfang an umgehen sollte?
Wenn ein Schmerz länger anhält, immer wiederkehrt oder nicht mehr weggeht - so wie man es sonst von sich gewohnt ist - sollte man dies medizinisch abklären lassen. Ein Schmerz hat immer auch eine warnende Funktion. Oft liegt eine körperliche Ursache zugrunde, der man unbedingt nachgehen muss.
Wenn man chronische Schmerzen hat, sollte man sich selbstverständlich schonen oder erst einmal pausieren. Dennoch wäre ein kompletter Rückzug gefährlich. Wenn man durch starke Schonung körperlich abbaut, seine Fitness verliert und seine sozialen Kontakte nicht mehr pflegt, gelangt man sehr schnell in eine negative Spirale, in der sich Schmerzen immer weiter verstärken. Wichtig ist, gar nicht erst dahinein zu rutschen.
Gut ist, wenn wir lernen mit dem Schmerz selbstbewusst umzugehen. Ein Beispiel wäre: „Ich komme gerne mit, aber ich komme einfach nur eine Stunde“. Auf diese Weise können wir schon erstaunlich viel tun, damit der Schmerz in unserem Leben nicht die Oberhand gewinnt.