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SwiSCI
Swiss Spinal Cord Injury Cohort Study
Schweizer Kohortenstudie für Menschen mit Rückenmarksverletzungen
Barrieren für Querschnittgelähmte: Unzugängliche Gebäude erschweren den Alltag

Barrieren für Querschnittgelähmte: Unzugängliche Gebäude erschweren den Alltag

Barrieren für Querschnittgelähmte: Unzugängliche Gebäude erschweren den Alltag

Barrieren für Querschnittgelähmte: Unzugängliche Gebäude erschweren den Alltag

Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen hat sich in den letzten Jahren verändert. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass Faktoren der Umwelt einen entscheidenden Einfluss auf die Erfahrung von Behinderung haben.

Umweltfaktoren als Barrieren

Daten der SwiSCI Studie zeigen, welche Umweltfaktoren das Leben von Menschen mit Querschnittlähmung in der Schweiz am stärksten erschweren.[1] Demnach nennen über 60% aller Studienteilnehmer die klimatischen Bedingungen, die belastend für sie sein können. Etwa die Hälfte empfindet den häufig mangelhaften Zugang zu öffentlichen Gebäuden oder Wohnungen von Freunden und Verwandten als Barriere. Dies betrifft besonders Menschen mit kompletten Lähmungen, da sie stärker in ihrer Bewegung eingeschränkt sind als Betroffene mit inkompletten Lähmungen.

Dahinter rangieren Probleme mit politischen Entscheidungen, öffentlichen oder privaten Transportmitteln sowie finanziellen Belastungen. Circa 20% der Teilnehmer berichten über Probleme aufgrund sozialer Einstellungen von Familienangehörigen, Freunden oder Kollegen ihnen gegenüber.

Negative soziale Einstellungen werden besonders häufig von Frauen mit Querschnittlähmung wahrgenommen. Unzureichende finanzielle Ressourcen spielen demgegenüber vorwiegend für Personen mit einer nicht-traumatischen Querschnittlähmung eine Rolle. Die Autoren vermuten, dass dies im Gegensatz zu traumatisch Verletzten auf die fehlende Kompensation durch die Unfallversicherung zurückzuführen ist.

SWISCI 2015-02 Diagramm DE
"Welche Faktoren nehmen Sie als Barriere wahr?" Studienteilnehmer berichten, welche Umweltfaktoren ihr Leben am stärksten erschweren.

Die Zugänglichkeit zur öffentlichen und privaten Infrastruktur wird von jedem zweiten Studienteilnehmer als mangelhaft eingestuft. Dieser bedenkliche Befund hat uns bewogen, das Thema Hindernisfreiheit im aktuellen Newsletter aufzugreifen.

Integrative Lösungen für Hindernisfreiheit im öffentlichen Raum

Der hindernisfreie Zugang und die Benutzbarkeit von Bauten und Anlagen ist für Menschen mit Behinderungen eine entscheidende Voraussetzung, um selbstständig und selbstbestimmt leben zu können. Sie ermöglichen ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: beim Wohnen, im Beruf, in der Bildung und in der Freizeit.

 Bild 2 positives Beispiel Hindernisfreiheit 1
Im Parkhaus - Auf die richtige Höhe kommt es an

Das Konzept „hindernisfrei" bedeutet „integratives Bauen": Architekten entwickeln keine Speziallösungen für bestimmte Gruppen, sondern bauliche Lösungen für alle, ein „Universal Design". Was hindernisfrei gebaut wird, soll den Bedürfnissen von Körperbehinderten, aber auch beispielsweise von älteren Menschen und Eltern mit Kinderwagen entsprechen. Über eine Rampe zum Postbüro freut sich nicht nur ein Rollstuhlfahrer, sondern auch eine Mutter mit dem Kinderwagen oder eine gehschwache ältere Person. Möbeltransporteure, Lieferanten und natürlich auch Fussgänger schätzen eine hindernisfreie Umgebung ebenso.

Kosten

In der Realität sind aber immer noch sieben von zehn öffentlichen Gebäuden nicht mit einem Rollstuhl zugänglich. Immer noch sind neugebaute Kinosäle nur für  Fussgänger erreichbar oder beim Umbau eines Restaurants wird das Rollstuhl-WC vergessen.[2]

Bild 3 neagtives Beispiel Hindernisfreiheit 2
Auch einzelne Stufen können beim Einkaufen zum Hindernis werden

Häufig werden von Architekten oder Bauleitern die Kosten als Hinderungsgrund angegeben. Doch laut einer Studie der ETH Zürich sollten die Kosten kein Hinderungsgrund sein: Beim Neubau eines Gebäudes, das für alle zugänglich ist, betragen die Mehrkosten lediglich 1.8 Prozent der Bausumme. Teurer sei es, bestehende Barrieren nachträglich abzubauen, so die Autoren der Studie.[3]

Gesetzeslage und Fachstellen in der Schweiz

Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bestimmt, dass niemand wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung diskriminiert werden darf (BV Artikel 8).[4] Diesem Auftrag kommt der Gesetzgeber unter anderem durch den Erlass des „Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen" (BehiG) nach.[5] Dieses ist seit 2004 in Kraft und behandelt auch den Zugang zu öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen.

Demnach haben Menschen mit Behinderungen das Recht auf Einsprache, wenn sie nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu öffentlichen Einrichtungen haben. Dies können zum Beispiel Ämter, Arztpraxen, Schulen, Kirchen, Restaurants und Sportanlagen sein, aber auch öffentliche Plätze, Parkplätze, Haltestellen und Fusswege. Unter bestimmten Bedingungen tritt dieses Recht auch bei Wohnhäusern und Gebäuden mit Arbeitsplätzen in Kraft (BehiG Artikel 7).

In den Organisationen, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzen, ist man sich jedoch einig, dass das Gesetz lediglich Mindestanforderungen vorgibt. Für Neu- oder Umbauten gelten viele weitere Vorschriften, wie zum Beispiel die Bauvorschiften der Kantone oder die Regularien bei denkmalgeschützten Gebäuden. Im „Dschungel der Bürokratie" gehen viele Initiativen verloren. Laut Studie der ETH Zürich wussten nur gerade 41% der befragten Architekten, dass es baugesetzliche Vorschriften zum behindertengerechten Bauen gibt. Dies deutet darauf hin, dass Baugesetze nur mangelhaft eingehalten werden.[6]

In der Schweiz fördern circa 30 „Fachstellen für hindernisfreies Bauen" die Durchsetzung einer baulichen Umwelt, die für alle Menschen zugänglich ist. Neben umfangreichen Beratungen zum hindernisfreien Bauen, initiieren sie auch Projekte zur Beseitigung bestehender Barrieren oder reichen Vorschläge zur Verbesserung von gesetzlichen Regelungen ein.

Das hindernisfreie Bauen wird also schweizweit unterstützt und scheitert nicht an der technischen Machbarkeit. Eine konsequente Einhaltung der Gesetze und finanzielle Anreize könnten dazu beitragen, Anpassungen von öffentlichen Einrichtungen zu fördern.

Referenzen