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SwiSCI
Swiss Spinal Cord Injury Cohort Study
Schweizer Kohortenstudie für Menschen mit Rückenmarksverletzungen
Mehr Lebensqualität und Selbstbewusstsein durch Sport

Mehr Lebensqualität und Selbstbewusstsein durch Sport

Mehr Lebensqualität und Selbstbewusstsein durch Sport

Mehr Lebensqualität und Selbstbewusstsein durch Sport

Die querschnittgelähmte Profi-Tennisspielerin Gaby Bühler, der Bereichsleiter von "Rollstuhlsport Schweiz" der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung Ruedi Spitzli und Alexandra Rauch, Autorin der SwiSCI Studie "Körperliche Aktivität und Querschnittlähmung", diskutieren über Gesundheit, Geschlechterunterschiede und Angebote im Sport.

 Gesprächspartner V2

Gabi Bühler, Ruedi Spitzli, Alexandra Rauch

Rauch: In welchen Bereichen nimmt Sport eine wichtige Rolle für Menschen mit einer Querschnittlähmung ein?

Bühler: Generell hat man seinen Körper durch ein gezieltes Krafttraining viel besser im Griff: Es hilft beispielsweise bei den Transfers, man fühlt sich sicherer beim Rollstuhlfahren, man ist viel weniger von Druckstellen und auch Spasmen belastet und die Organe funktionieren besser. Ich persönlich habe durch Sport eine hohe Lebensqualität und meine Erfolge stärken mein Selbstbewusstsein.

Spitzli: Durch meine Arbeit bei Rollstuhlsport Schweiz (RSS) erfahre ich, dass Sport einen Rollstuhlfahrer viel unabhängiger und selbstbestimmter machen kann. Durch körperliche Fitness sind viele Betroffene in der Lage, selbst zu bestimmen, wo sie teilhaben möchten. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Gesundheit. Das heisst, Sport wirkt sich umfassend auf alle Lebensbereiche aus.

Rauch: Halten Sie die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Menschen mit einer Querschnittlähmung für sinnvoll?

Bühler: Ja, denn insbesondere durch das empfohlene Krafttraining lässt sich der Alltag viel einfacher bestreiten und ich habe weniger Schulterprobleme.

Spitzli: Das sehe ich auch so: Wenn ich als Fussgänger meine Schulter operieren lassen muss, bin ich zu 90% noch selbstständig. Passiert dies bei einem Rollstuhlfahrer, muss er erstmal in einen elektrischen Rollstuhl und kann gar nichts mehr selbstständig tun. Durch das empfohlene Training lassen sich solche Risiken deutlich verringern.

Rauch: In unserer SwiSCI Studie haben wir festgestellt, dass es zwei Gruppen gibt, die die Empfehlungen der WHO häufig nicht erreichen. Dies sind zum einen die Frauen, und zum anderen Querschnittgelähmte, die sich ohne Rollstuhl fortbewegen können. Woran könnte das liegen?

Bühler: Zum Geschlechterunterschied würde ich vermuten, dass für Frauen mit Familie der Sport eher in den Hintergrund tritt. Weiterhin weiss ich aus meiner eigenen Erfahrung als Sportlehrerin, dass Frauen eher dazu neigen, in „kreativen“ Sportarten aktiv zu sein, zum Beispiel Tanzen, Gymnastik, Aerobic. Solche Sportarten erfordern aber einen Ganzkörpereinsatz. Dafür dann adäquate Angebote im Rollstuhl zu finden, ist schwierig.

Spitzli: Der Aufwand für Frauen mit Kindern ist ausserdem immens hoch. Nehmen wir an, eine Rollstuhlfahrerin hat 1 Stunde Zeit für Sport. Bis das Umkleiden und der Transfer ins Sportgerät erledigt sind, ist bereits eine Viertelstunde Zeit vergangen. Effektiv kann sie eine halbe Stunde aktiv sein, wenn sie rechtzeitig wieder mit dem Transfer beginnt. Das heisst, für Frauen mit wenig Zeit ist es oft schwieriger, die Empfehlungen zum Sport umzusetzen.
Zur Gruppe derjenigen, die sich ohne Rollstuhl fortbewegen können, kann ich die Studienergebnisse bestätigen: Sie sind im Vergleich zu Rollstuhlfahrern weniger körperlich aktiv. Aus meiner Erfahrung wollen diese Menschen den Rollstuhl, auf den sie vielleicht anfangs noch angewiesen sind, so schnell wie möglich weg haben. Gleichzeitig sind sie aber körperlich nicht in der Lage, ausreichend Sport als Fussgänger zu betreiben. Genau darin besteht dann das Problem. Wir im RSS legen deshalb Wert darauf, den Rollstuhl auch als Sportgerät zu betrachten. Das heisst, wir versuchen, auch inkomplett Gelähmte zu motivieren, Sport im Rollstuhl zu betreiben.

Rauch: Auf welchen Ebenen müssten in der Praxis Massnahmen ansetzen, um den gesundheitsfördernden Aspekt von Sport besser zu vermitteln?

Bühler: Bisher werden die Empfehlungen der WHO in der Erst-Rehabilitation nicht vermittelt. Ich denke, dass dies bereits während dieser Zeit ein Thema sein sollte. Weiterhin kann ich besonders das Handbike empfehlen, das sich wunderbar eignet, Bewegung in den Alltag zu integrieren. Je nach dem, lässt sich ein Antriebsmotor einsetzen, der unterstützend wirkt. Man kann mit der Familie einen Ausflug machen, zum Einkaufen oder zur Arbeit fahren und trotzdem bewege ich mich dabei. Aus meiner Sicht sollte das Handbike mehr promotet werden, damit mehr Personen von diesem vielseitigen Gerät und dessen Auswirkungen auf die Gesundheit profitieren können.

Spitzli: Ich denke, dass das Thema Sport bereits während der Erst-Rehabilitation, aber vor allem in den Jahreskontrollen thematisiert werden sollte. Beim Austritt aus dem Spital haben die Betroffenen andere Probleme zu bewältigen, und Sport steht zunächst hintenan. Aber die Jahreskontrollen wären eine gute Gelegenheit, alle Betroffenen über die gesundheitsfördernden Aspekte beim Sport und die bestehenden Angebote durch den RSS aufzuklären.

Rauch: Dann fasse ich Ihre Vorschläge hier nochmal zusammen:

  • Um Betroffene zu mehr Sport zu motivieren, sollte mehr Wissen über die langfristige Gesunderhaltung durch körperliche Aktivität verbreiten werden. Dies könnte bereits während der Erst-Rehabilitation und während der Jahreskontrollen geschehen.

  • Um Frauen und inkomplett Gelähmte besser zu fördern, sollte es ein Sportangebot speziell für diese Gruppen geben.

  • Um mehr Bewegung in den Alltag zu integrieren, sollte das Handbike stärker bei den Betroffenen beworben werden.

Frau Bühler und Herr Spitzli, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Zu den Personen

Gaby Bühler (Sportlehrerin) ist seit 2007 durch einen Bergunfall querschnittgelähmt. Seitdem hat sie sich zur professionellen Rollstuhlsportlerin im Tennis entwickelt. 

Ruedi Spitzli (Eidg. dipl. Turn- und Sportlehrer II) ist Bereichsleiter Rollstuhlsport Schweiz (RSS) bei der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung. Ausserdem ist er Mitglied des Stiftungsrates des Swiss Paralympic Committee.

Alexandra Rauch ist Physiotherapeutin, Gesundheitswissenschaftlerin und Lehrbeauftragte für die Ausbildung von Fachberufen im Gesundheitswesen.