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SwiSCI
Swiss Spinal Cord Injury Cohort Study
Schweizer Kohortenstudie für Menschen mit Rückenmarksverletzungen
«Wir sollten Patientinnen und Patienten viel mehr im Team betreuen»

«Wir sollten Patientinnen und Patienten viel mehr im Team betreuen»

«Wir sollten Patientinnen und Patienten viel mehr im Team betreuen»

«Wir sollten Patientinnen und Patienten viel mehr im Team betreuen»

Im Rahmen eines SwiSCI-Projekts werden Hausärztinnen und Hausärzte spezifisch zum Thema Querschnittlähmung geschult – zum Vorteil von Betroffenen in der Schweiz. Dr. Susanne Morf ist Hausärztin in Val Müstair und spricht über das «Hausarztprojekt». 

Frau Morf, warum haben Sie sich dazu entschlossen, bei dem Projekt zur gemeinsamen Versorgung querschnittgelähmter Menschen mitzumachen?

Wir sind hier in einem sehr abgelegenen Tal ganz im Osten der Schweiz. Das nächste kleinere Spital ist über eine Auto-Stunde entfernt. Deshalb bieten wir in unserem Gesundheitszentrum möglichst viel an, was die Bewohner hier benötigen: Wir behandeln ambulant, stationär, im Pflegeheim und bei den Patienten zuhause. Sie finden bei uns Physiotherapie, psychische Beratung, Spitex, Mahlzeitendienst, Zahnarzt und sogar ein Pflegeheim - alles unter einem Dach.

Wir haben hier im Tal mehrere Patienten, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind und entsprechend versorgt werden müssen. Deshalb bin ich froh über jedes Wissen, das dazu beiträgt, unsere Versorgung auch für solch spezifischen Patientengruppen zu verbessern. Bis zum nächsten Paraplegikerzentrum dauert es über drei Stunden mit dem Auto. Das ist eine immense Belastung für die Personen. Deshalb möchte ich, dass wir einen grossen Teil der Versorgung hier selber übernehmen können.

Wo sehen Sie die Vorteile des Hausarztprojektes? 

Ich bin von Haus aus nicht der Typ Einzelkämpfer-Hausarzt. Teamarbeit ist mir sehr wichtig. Diesbezüglich sehe ich in dem Hausarztprojekt eine grosse Chance: Der enge Kontakt mit den Ärzten und Pflegekräften aus den spezialisierten Zentren erweitert unser Wissen und trägt in hohem Masse zu einer besseren Versorgung unserer Patienten bei. Ich weiss nun beispielsweise viel mehr über das Blasen- und Darmmanagement oder über Dekubitus und kann meine Patienten dahingehend besser betreuen. Die Corona Krise eröffnet uns mehr Möglichkeiten, die Kommunikation zwischen Patienten, Fachärzten und Hausärzten online zu gestalten. Manchmal reicht zunächst auch eine Abklärung per Videokonferenz.

Die Zusammenarbeit zeigt mir aber auch, wo meine eigenen Grenzen sind: Was sind die Alarmpunkte, ab wann muss ich einen Patienten in ein fachspezifisches Zentrum überweisen? Dieses Wissen trägt zu einer besseren Versorgung unserer Patienten bei.

Einen weiteren Vorteil des Projektes sehe ich in der Anwendbarkeit auf andere Patientengruppen. Ich habe beispielsweise einige Patienten mit Multipler Sklerose und mit Chorea Huntington. Sie sind auf den Rollstuhl angewiesen und haben teilweise ähnliche gesundheitliche Probleme wie Menschen mit Querschnittlähmung. Insofern kann ich aus dem Hausarztprojekt profitieren.

Was haben Sie in der Schulung für das Hausarztprojekt konkret gelernt?

In den Schulungen habe ich gelernt, auf was ich bei Patienten mit einer Querschnittlähmung besonders achten muss. Was sind häufige Probleme, sowohl körperlich als auch psychisch? Wie beurteile ich diese? Sehr wichtig war mir zu erfahren, welche Untersuchungen genau für die Jahreskontrollen vorgesehen sind und bei welchen Symptomen eine Spezialuntersuchung nötig ist, zum Beispiel ein Lungenfunktionstest. Ein weiterer Schwerpunkt der Schulung lag auf den Beratungsstellen: Wo können sich Patienten für eine Sozialberatung, Angehörigenunterstützung oder bei rechtlichen Fragen melden? Diese Tipps kann ich nun zielgerichtet weitergeben und auf diese Weise auch mein Netzwerk ausbauen

Was erhoffen Sie sich aus dem Projekt?

Ich erhoffe mir, dass wir unsere Patienten generell viel mehr im Team betreuen können, und dass sich alle beteiligten Fachpersonen auch als Team verstehen. Das hebt die Qualität der Versorgung.

Ich erhoffe mir auch, dass wir die Koordination unter den beteiligten Fachpersonen verbessern können: einheitliche Dokumente zur gegenseitigen Berichterstattung würde unsere Zusammenarbeit viel effizienter machen. Patienten haben teilweise eine lange Krankengeschichte hinter sich mit einer Vielzahl an Behandlungen und Therapien. Wenn ich dies als Arzt nicht weiss oder mühsam aufrollen muss, gehen viele Ressourcen verloren. Oft werden bestimmte Laborwerte unnötig doppelt und dreifach erhoben, es werden Therapien verschrieben, auf die der Patient aber bereits in der Vergangenheit nicht angesprochen hat, usw. Wünschenswert wäre ein einheitliches Berichtswesen, das eine nahtlose Fortführung der Behandlung garantiert und alle bisherigen Befunde und Therapien zeigt. Dies gilt aber generell in der Medizin und wäre sicherlich ein Thema, das wir zukünftig stärker diskutieren sollten.

Frau Morf, herzlichen Dank für dieses Interview!

Susanne Morf
Susanne Morf

Susanne Morf

Leitende Ärztin und Intensivmedizinerin im Gesundheitszentrum Val Müstair